Prolog
Freitagnachmittag parallel zum Kindergeburtstag, Sachen rausgesucht, Tasche gepackt, Auto beladen. Sonntag ist der Ötztaler! Ein Blick aufs Wetter ließ mich alles einpacken von Kurz/Kurz bis Lang/Lang, selbst die Winterschuhe kamen in die Tasche.
Um kurz nach 21 Uhr geht es los, Nachtschicht auf der Autobahn. Knapp über 730km stehen auf der Uhr, im Radio läuft „Can’t stop“ von den Red Hot Chili Peppers. Auf geht es! Bis kurz hinter Stuttgart dort gönn ich mir nach 4 Stunden eine Pause.
Erstaunlich gut erholt geht es um 04:20 Uhr weiter, noch 290km bis zum Frühstück in Sölden. Um kurz nach 8 Uhr sitze ich mit Henning am Frühstückstisch.
Einrollen
Im Anschluss gleich das zweite Frühstück, auf dem Rad! Einrollen für Sonntag. Henning und ich fuhren einmal nach Vent und zurück. Herrliche Gegend, traumhaft schön. 36 Kilometer und 730 Höhenmeter. Wahrscheinlich zählt das hier noch als flach, zu Hause muss man so eine Strecke erstmal suchen!
Afterwork
Der Nachmittag war entspannt, Startnummern abholen, ein wenig durch Sölden schlendern und viel essen. Zwischendurch gönnte ich mir ein Nickerchen. Neben dem ständigen Blick aus Wetter, war auch die mögliche Streckenführung eine spannende Unbekannte. Es sah so aus als sorgt ein Felssturz im Kühtai dafür das die 40. Austragung des Ötztaler Radmarathon, wieder über die Originalstrecke mit einer Länge von 238 Kilometern und 5500 Höhenmetern führt. Pacing Sheet und Erfahrungen aus vorherigen Austragungen verloren somit an Bedeutung.
Fahrerbriefing
Nach dem Abendessen wurde das Fahrerbriefing im Fernsehen übertragen, der Wetterbericht, wenn auch sehr fröhlich von der Wetterdame vorgetragen, ließ nix Gutes erahnen. Regen schon am Start bei circa 4 Grad, in Italien Föhn über 20 Grad und auf dem Timmelsjoch Schnee… Wir tauschten die Klamotten, pinnten die Startnummer um. Guckten noch mal durch diverse Apps. Der Start wohl doch trocken, Regen erst am Nachmittag. Nur der Schnee auf dem Timmelsjoch der war scheinbar sicher. So tauschten wir erneut die Klamotten inkl. Startnummer.
Letzte Infos vor dem Rennen! Wintertrikot, Windweste und leichte Regenjacke? Richtige Regenjacke, leichte Regenjacke und Wintertrikot?
Start
Um 4:30 klingelte der Wecker, anziehen, Kaffee, Frühstück, Blick aufs Wetter und noch Mal aufs Klo und dann ab in den Startblock. Eine Stunde vor dem Start hieß es warten, sich mit anderen Fahrern austauschen, die Atmosphäre genießen. Neben uns wurden die Heißluftballons eingeheizt und ganz langsam brach der Tag an. Alle hatten Bock, alle waren angespannt. 4 Grad, gefühlt kälter… Aber wenigstens war es wirklich trocken!
Sölden hinter sich lassen
Die Hubschrauber für die Live-Bilder waren gestartet. 6:45 Uhr es ging los, das Feld rollte, doch es kommt nicht weit. Ein Werbebanner liegt kurz hinter dem Start auf der Strecke. Erster Test ob alle aufmerksam sind war geglückt. Zügig ging es weiter. In den Ortschaften standen schon die ersten Zuschauer und feuerten uns an. Da Feld fuhr aufmerksam, Fahrbahnteiler wurden gut angezeigt und es ging flott bis nach Oetz.
Heiminger Sattel
Die Vermutung bestätigte sich, aufgrund eines Felssturzes, führte der 40. Ötztaler Radmarathon nicht direkt aufs Kühtai, sondern über Oetz auf den Heiminger Sattel zum Kühtai. Gute 10 Kilometer und 500 Höhenmeter extra. Die liebevolle lokale Aussprache „Heiminger Sattele“ trügt. 9,65 Kilometer 1009 Höhenmeter… wie heißt es auf Quäldich.de „ist auch für Tiroler Verhältnisse kein ganz leichtes Unterfangen“. Ich quälte mich diesen unrhythmischen Endgegner hoch. 11km/h, 12km/h, 8km/h… das Powermeter pendelt zwischen 250 und 280 Watt… ich glaub mein FTP ist irgendwo bei 235. Es wurde warm, erste Jacke auf. Kurze Zeit später das Trikot auf, die Handschuhe aus. Ich fuhr mein Tempo, möglichst gleichmäßig. Es tat weh, ich dachte den Ötztaler fahr ich niemals zu Ende.
Kühtai
Vom Heiminger Sattel kommt man auf die ursprüngliche Route. Eine kurze Abfahrt und dann folgt noch ein Anstieg. Das Orga-Team scheuchte die Kühe von der Straße, eine Frau feuerte uns an „gleich habt ihr es geschafft, der erste Berg“. Nur kam er nicht, der Gipfel. Vielleicht war ich zu langsam für ihr „gleich“, vielleicht meinte sie „mit dem Auto habt ihr es gleich geschafft“. Um kurz nach 9 Uhr passierte ich die Verpflegungsstation am Kühtai. Ich stoppte ein paar Meter dahinter, aß kurz ein Gel packte mich wieder warm ein und gönnte mir dann die Abfahrt runter nach Innsbruck. Die Abfahrt war, wie im Fahrerbriefing angekündigt, teilweise sehr schlecht und die angekündigten Weidegitter erforderten in der eigentlich nicht besonders anspruchsvollen aber durchaus schnellen Abfahrt etwas mehr Aufmerksamkeit.
Brenner
Vom Kühtai ging es nach Innsbruck, aus der Wildnis in die Stadt. Verpflegen, im Windschatten rollen und genießen. Selbst die Sonne blinzelte durch die Wolken. Das Gruppetto rollte auf den Brennerpass. Etwa 38 Kilometer 3-4% durchschnittliche Steigung. Nach den bisherigen Steigungen redet man sich ein es wäre flach! Erholung? Mir kamen die Worte in den Sinn „am Brenner brauchst du eine gute Gruppe“. Ein italienischer Fahrer machte das Tempo, 38kmh, wir wechselten ein paar Mal, doch außer uns beiden wollte keine mitmachen. Das Tempo fiel, man rollte so vor sich hin. Alle wollten Körner sparen. Am Ende brachte ich das Stück Innsbruck bis Brenner in 1:20 Stunden mit einem Schnitt von 28,4 km/h hinter mich. Nach insgesamt 120 Kilometern gönnte ich mir an der Labestation am Brenner neue Getränke, eine Kleinigkeit zu essen, motivierende WhatsApp Nachrichten aus der Heimat und eine Toilette.
Jaufen
Gestärkt und gut gelaunt ging es vom Brenner auf überwiegend breiten Straßen runter nach Sterzingen. Mit 50km/h im Schnitt schaffte man die 15 Kilometer in 17 Minuten. Schon stand man am Fuß des Jaufenpass. Nun hieß es wieder 15 Kilometer, allerdings bergauf. 1100 Höhenmeter mit durchschnittlich 7,5% Steigung. Ich nahm ein großer Schluck von der Trinkflasche und es ging weiter, was willst du auch machen, der kürzeste Weg nach Hause war genau dieser. Der Jaufenpass fühlte sich angenehm an, schön gleichmäßig durch den Wald. Gott sei Dank, denn in der Sonne war es schon elendig heiß. Ich fuhr mein Tempo, stur den Pass hoch. Das letzte Stück bis zur Verpflegungsstation am Jaufenpass hat man freie Sicht auf genau diesen, das motivierte – mich zumindest. Nach 1:45 Stunden war ich oben. An der Verpflegungsstation gab es Banane, Kuchen, Wasser, Gels… Quasi einmal Buffet. Schließlich warteten ja noch 70 Kilometer und ca. 1800 Höhenmeter auf mich.
Von der Verpflegungsstation ging es, welch eine Gemeinheit, ging es noch 100 Meter weiter hoch bis zum Gipfel. Doch dann folgt die Belohnung. Eine traumhafte Abfahrt, schnell aber auch technisch anspruchsvoller. Mit jeder Kurve wurde das Grinsen im Gesicht breiter und es waren einige Kurven.
Timmelsjoch
Am Ende der Abfahrt vom Jaufenpass bremste einen eine schöne enge 180 Grad Kurve, angefeuert von den Zuschauern wurde im Anschluss wieder kräftig in die Pedale gedrückt. Aus dem bergab wurde wieder mehr und mehr bergauf. Das Timmelsjoch steht auf dem Programm, der Endgegner vom Ötztaler? 29 Kilometer und läppische 1724 Höhenmeter. Man hat ja auch erst gut 190 Kilometer und knapp 4100 Höhenmeter in den Beinen. Aber es wäre nicht der Ötztaler, wenn es einfach gewesen wäre. Die zusätzliche Mini Verpflegungsstation am Fuß des Anstiegs sparte ich mir, geht ja auch auf Zeit hier, ist ja keine Kaffeefahrt. Es war elendig warm, das Tacho zeigt 29 Grad. Ich packte meine Weste in die Jacke, die Jacke hinten in die Bib. Handschuhe unters Trikot. Mein Plan war erst an der letzten Station „Schöne Aussicht“ zu stoppen. Also weiter! Der Tacho zeigte 11, 8, 9 km/h an. Ich versuchte gleichmäßig zu pedalieren.
Erinnerte mich wie ich auf dem Stück 2013 hier von Sölden kommend mit dem Stahlrenner runter bin. Ich kam zu dem Entschluss, runter ging es schneller. In Gedanken versunken, rief jemand meinen Namen. Simon! Wie geil, am Start nicht zusammengefunden, aber dann auf der Strecke. Mega! Wir quatschten uns die Höhenmeter in die Beine. Die Sicht auf das Timmelsjoch wurde offener, man sah wo man hoch musste. Simon sagte leicht witzelnd nur noch 2,5 Stunden.
Es ist der Wahnsinn, es sind doch nur noch 20 Kilometer. Man hört die Schaltungen ins Leere schalten, da ist kein kleinerer Gang mehr. Ich sagte zu einem unbekannten Mitfahrer „ist scheinbar ein größeres Problem hab jetzt schon mehrere getroffen die ähnliches Problem haben“. Man lachte, leicht verzweifelt. An der letzten Verpflegungsstation, war es Mal wieder Zeit für ne Toilette. 9 Stunden unterwegs, hauptsächlich Gels, da sagt der Magen auch gerne Mal „f#@k dich“. Ich gönnte mir Käsebrot, Banane, eine Suppe, Cola und füllte auch meine Flaschen wieder auf. Simon saß auf einer Bank, ich blieb stehen. Ich dachte, jetzt sitzen und ich steh erst wieder für den Besenwagen auf.
Noch 11 Kilometer und 750 Höhenmeter bis zum Gipfel. Weiter ging es. Das quatschen wurde weniger. Jeder konzentriere sich auf den Anstieg. Mal lagen ein paar Meter zwischen uns aber wir kamen immer wieder zusammen. Vor einer Kehre ploppte eine Bierflasche auf. Unverschämt. Die Streckenposten sauften. Simon ergatterte ein Schluck und mit neuer Energie ging es gleich viel einfacher weiter, bestimmt! Das Wetter wurde schlechter, es fisselte. Der Wind blies kalt um die Ohren. Am Tunneleingang vor dem Gipfel zogen wir uns die letzten Klamotten an. Der Tunnel führte in eine andere Welt. Auf der österreichischen Seite wartete schlechtes Wetter auf uns. Doch es war geschafft, um kurz nach Fünf, passierten wir den Gipfel auf 2488m. Schneeregen von oben und eine ganz leichte Schneeschicht auf der Straße. Es war nass, es war kalt. Aber es war geschafft!
Nach kurzem Foto-Stopp, ging es runter ins Ziel nach Sölden. Ich fuhr gemäßigt bergab. Vor mir ein Fahrer als Orientierung, bis diese plötzlich die Kontrolle über sein Rad verlor und nur mit viel Mühe und Geschick nicht in die Mauer knallte. Ich war erschrocken. Nahm noch etwas mehr raus. Ich dachte mir, sich so kurz vorm Ziel noch lang machen, das muss nicht sein. Es geht um nix, Hauptsache ankommen! Nach einer schönen, aber dieses Mal sehr nassen Abfahrt kam der gerne vergessene Gegenanstieg hoch zur Mautstation. 2,5 Kilometer, 110 Höhenmeter. Das tat richtig weh. Mental war das Ziel der letzte Gipfel und dann so ein Gegenanstieg. Verflucht! Aber Zähne zusammenbeißen und dann war dieser auch geschafft. Von der Mautstation ging es nur noch runter, es war nass und kalt aber gleich geschafft. Das letzte Stück ab Zwieselstein führte auf der gleichen Route wie der Rückweg von Vent, man kannte die Strecke und konnte laufen lassen.
Zielsprint
Es roch nach Ziel, die Füße standen im Wasser, der Regen prasselte auf mich ein. Ich überholte noch schnell das Auto der Organisation und fuhr auf die Zielgerade. Kuhglocken, Jubel von Zuschauern. Noch 500m… Vollgas… Eieieiei sind 500m lang, ich strecke die Siegerfaust in die Kamera und erreiche das Ziel nach 11:12 Stunden!
Im Ziel wartete schon Simon, wir fielen uns in die Arme. Was war das für ein Tag, hart, härter Ötztaler! Unglaublich was man da hinter sich gebracht hat. Der Radcomputer zeigt 236,64 Kilometer, 5585 Höhenmeter 204 Watt (NP), 10 Stunden und 17 Minuten in Bewegung (23 Km/h), insgesamt 11 Stunden und 13 Minuten zwischen Temperaturen von 3 bis 29 Grad unterwegs!
Epilog
Zurück im warmen, trockenen Hotel wartete bereits Henning. Er war etwas flotter und fuhr mit 09:04:35 auf den 208. Platz! Wahnsinn! Aber dafür verpasste er den Regen. Wir tauschten uns aus, wie lief es am Sattel, wer litt wo, wie war die Gruppe am Brenner, wann schlug das Essen auf den Magen… Geduscht und aufgewärmt ging es zusammen mit Ronny ins Vaya den Abend kulinarisch ausklingen lassen.
Fazit
Der Ötztaler ist jede Pedalumdrehung wert. Selbst ohne den perfekt organisierten Radmarathon ist die Region traumhaft schön. Das zu erleben, wenn Sölden zum Radsport Mekka wird, mit gesperrten Straßen, Verpflegungsstationen und vielen anderen „verrückten“ Radsportlern, kann ich jedem empfehlen! Eine großartige Herausforderung! Ich selbst würde mich bei meinem nächsten Ötztaler besser vorbereiten, dies war aufgrund der knappen Zusage, zwei Monate vorher nicht wirklich möglich. Trotzdem Danke Henning, für das Überreden, ich habe es nicht bereut! Bei der Klamottenfrage würde ich in Zukunft wohl anders entscheiden und eher weniger als zu viel mitnehmen. Aber wenn man eins nicht planen kann, dann ist es das Wetter, vor allem beim Ötztaler!